Was mich trägt - Glaube, Struktur und der Rhytmus des Lebens

Veröffentlicht am 9. November 2025 um 09:48

Manchmal beginnt ein Tag schon, bevor der erste Kaffee fertig ist. Die ersten Mails warten, das Telefon klingelt, ein Gast braucht etwas, ein Kollege hat eine Frage. Vieles läuft parallel, manches drängt, anderes braucht Geduld. Wer in einem Gästehaus Verantwortung trägt, weiß, wie schnell sich ein Tag füllt und wie wichtig es ist, in diesem Trubel nicht den eigenen Halt zu verlieren. Gerade dann frage ich mich immer wieder: Was trägt mich eigentlich durch solche Tage? Was hilft mir, den Überblick zu behalten, freundlich zu bleiben, auch wenn es eng wird, und mit Freude da zu sein, wo ich gebraucht werde?

Mich trägt, dass ich für mich einen Weg gefunden habe, meinen Alltag so zu gestalten, dass ich mich an ihm erfreuen kann. Es gibt dabei kein Richtig oder Falsch und auch keinen festen Leitfaden. Jeder Mensch findet seinen eigenen Rhythmus. Entscheidend ist, dass wir ausprobieren, was uns guttut, und uns bewusst Zeit für uns selbst nehmen.

Für mich beginnt das Tragen mit Struktur. Ich habe gelernt, dass frühzeitige Vorbereitung Gelassenheit schafft. Ob es um Veranstaltungen, Projekte oder Gespräche geht, ich fange gern rechtzeitig an. Oft arbeite ich mit Themen, die mich über eine längere Zeit begleiten, mal eine Woche, mal einen Monat, manchmal auch ein ganzes Quartal. Wenn neue, größere Aufgaben dazukommen, prüfe ich bewusst, wo im Jahr Platz dafür ist. So entsteht Übersicht, und ich verliere mich nicht im Tagesgeschäft. Mitte der Woche richte ich meinen Blick bereits auf die kommende und übernächste Woche: Welche Termine stehen an, was braucht noch Vorbereitung, wo sind Abstimmungen nötig. Mitte des Monats schaue ich dann weiter nach vorn, prüfe, welche Themen im nächsten oder übernächsten Monat wichtig werden. So denke ich immer einen Schritt voraus. Das Ungeplante kommt ohnehin, aber alles, was ich planbar im Blick habe, überrascht mich dann nicht mehr. Diese Struktur gibt mir Sicherheit und schafft Raum für das, was wirklich zählt.

Ein zweiter Punkt, der mich trägt, ist die tägliche Rückschau. Am Abend lasse ich den Tag bewusst an mir vorbeiziehen. Ich frage mich: Habe ich heute wirklich zugehört. Wo konnte ich jemandem eine Last abnehmen. Welche meiner Worte haben jemanden ermutigt oder vielleicht auch verletzt. Diese kleine Übung hilft mir, ehrlich mit mir selbst zu bleiben. Manchmal zünde ich dazu eine Kerze an, lese einen Psalm oder singe ein Lied aus dem Gesangbuch. Das sind Momente, in denen ich zur Ruhe komme, Dankbarkeit finde und spüre, wie ich innerlich wachse. So wird mein Alltag nicht nur von Terminen bestimmt, sondern von einem Rhythmus, der mich trägt. Dabei vertraue ich auf das Wort aus dem Psalm 119,105: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg.“ Dieses Vertrauen erinnert mich daran, dass ich nicht alles allein in der Hand haben muss.

Kraft finde ich auch in meinen Hobbys, die für mich weit mehr sind als Freizeitbeschäftigungen. Sie sind Quellen der Freude und Balance. Eine davon ist mein Dienst als Prädikant in meiner Kirchengemeinde. Ich bin berufen zur freien Wortverkündigung und zur Verwaltung der Sakramente. Das bedeutet, dass ich neben meiner Arbeit in den Gästehäusern immer wieder ganz bewusst in biblische Texte eintauche, mich auf Predigten vorbereite und Gottesdienste gestalte, etwa sechs bis achtmal im Jahr. Diese Zeiten sind für mich besonders kostbar. Sie schenken mir Tiefe und lassen mich geistlich wachsen. Ich liebe es, die Texte der Bibel zu erforschen: Woher kommen sie, was wollten die Autoren sagen, wie ging es den Menschen damals, und was kann ihre Botschaft uns heute bedeuten. In diesem Arbeiten spüre ich, wie mein Glaube lebendig bleibt.

Ein ganz anderer, aber ebenso wichtiger Ausgleich ist das Tanzen mit meiner Frau. Drei- bis viermal pro Woche gehen wir ins Tanzstudio. Wenn wir Tango tanzen, zählt jeder Schritt. Ich muss im Moment bleiben, konzentriert und aufmerksam, auf die Musik, auf den Rhythmus und vor allem auf meine Partnerin. Beim Walzer gilt dasselbe: Alles kommt auf die Verbindung an, auf das gemeinsame Fühlen und Führen. In diesen Momenten denke ich an nichts anderes. Der Kopf wird still, das Herz leicht. Diese Augenblicke des Einklangs tun uns beiden unendlich gut.

Wichtig ist mir, dass solche Quellen der Kraft nicht irgendwo Platz finden, wenn zufällig Zeit übrig bleibt. Ich plane sie bewusst ein. Denn was wirklich Kraft schenkt, verdient Priorität. So verhindere ich, dass die dringenden Dinge des Tages die wichtigen verdrängen.

Am Ende sind es für mich zwei sehr unterschiedliche Wege, die mich tragen: das stille, geistliche Arbeiten an Predigten und das lebendige, rhythmische Miteinander im Tanz. Beide schenken mir Freude, Ruhe und innere Balance. Sie helfen mir, in der Mitte zu bleiben, zwischen Arbeit, Glauben und Leben.

Mich trägt, dass ich Strukturen schaffe, die mir Überblick und Gelassenheit geben, dass ich bewusst Rückschau halte und dass ich meine Hobbys mit klarer Priorität lebe. In allem vertraue ich darauf, dass Gottes Wort mein Fundament ist und mir den Weg weist. So finde ich Freude an meinem Alltag, bleibe innerlich im Gleichgewicht und darf spüren, dass ich getragen bin von Gott, von Menschen und von dem Rhythmus, den das Leben selbst schenkt.

Was trägt dich?

 

Autor: Jens-Martin Krieg