Jesus für alle, was Quellen und Darstellungen zeigen.
Wenn wir nach dem historischen Jesus fragen, dann lohnt sich der Blick sowohl in die Bibel als auch in außerbiblische Texte. Überraschend ist, dass über Jesus trotz seines kurzen öffentlichen Wirkens und ohne, dass er selbst etwas aufgeschrieben hat, eine beachtliche Anzahl an Quellen überliefert ist.
Die ältesten Zeugnisse stammen aus den Briefen des Paulus, die um das Jahr 50 n. Chr. entstanden sind.[1] Dort finden wir schon Glaubensbekenntnisse, die deutlich machen, dass Jesus gekreuzigt wurde und von den Christen als der Auferstandene bekannt war (Paulusbriefe). In den folgenden Jahrzehnten entstanden die Evangelien (Markus ca. 70 n. Chr.[2], Matthäus und Lukas ca. 80-90 n. Chr.[3], Johannes ca. 90-100 n. Chr.)[4] die Jesu Leben, Wirken und Tod biographisch darstellen. Ergänzt werden diese durch die Apostelgeschichte, die Ausbreitung der ersten Gemeinden beschreibt, sowie weitere Briefe und die Offenbarung, die das Zeugnis über Jesus vertiefen.
Dazu kommen mehrere außerbiblische Hinweise.[5] Der jüdische Historiker Flavius Josephus berichtet in seinen Jüdischen Altertümern sowohl im sogenannten Testimonium Flavianum, wo er Jesus als weisen Mann beschreibt, der von Pilatus gekreuzigt wurde[6], als auch in einem zweiten Abschnitt, wo er Jakobus als „Bruder Jesu, der Christus genannt wird“ erwähnt[7]. Auch römische Autoren greifen Jesus auf. Tacitus schildert in seinen Annalen, dass Christus unter Tiberius durch Pilatus hingerichtet wurde und dass Nero später Christen verfolgte.[8] Plinius der Jüngere berichtet in einem Brief an Kaiser Trajan, dass Christen Christus wie einen Gott verehren.[9] Sueton spricht in seiner Vita Claudii von Unruhen in Rom, die durch „Chrestus“ ausgelöst wurden, was viele als Anspielung auf Christus.[10] Auch der syrische Philosoph Mara bar Serapion nennt in einem Brief den Tod eines „weisen Königs der Juden“, dessen Lehre weiterlebte.[11] Später finden sich im Babylonischen Talmud Hinweise auf „Jeschu“, der hingerichtet wurde.[12]
Es ist bemerkenswerter, dass über Jesus, einem Wanderprediger ohne politisches Amt, von dem uns keine selbstgeschriebenen Texte oder gar Bücher (wie bei Julius Cäsar), überliefert wurden, in mehreren unabhängigen historischen Quellen erwähnt wird und das schon innerhalb einer Generation nach seinem Tod in den Paulusbriefen und bald darauf in den Evangelien berichtet wird. Diese biblischen und außerbiblischen Zeugnisse zusammen machen deutlich: Jesus Christus war nicht nur eine Gestalt des Glaubens, sondern auch eine historische Person.
Der historische Ort Nazareth:
Jesus wuchs in Nazareth in Galiläa auf, einem sehr kleinen Dorf. Nazareth hatte keinerlei politische oder religiöse Bedeutung und spielte in der damaligen Geschichtsschreibung praktisch keine Rolle. Das Leben dort war schlicht und einfach. Die Menschen lebten überwiegend von Landwirtschaft und einfachem Handwerk und waren in den Rhythmus des bäuerlichen Alltags eingebunden.
Die Häuser in Nazareth waren bescheiden, klein und einfach gebaut, und die Versorgung mit Wasser erfolgte über Zisternen. Man lebte eng zusammen, jeder kannte jeden, und die Dorfgemeinschaft war überschaubar. Gleichzeitig stand Nazareth im Einflussbereich größerer Städte wie Sepphoris, wo römische Bauprojekte und Verwaltung das Leben bestimmten.[13]
So zeigt sich: Jesu Herkunft war geprägt von der Schlichtheit eines unbedeutenden Dorfes.
Jesus von Nazareth – wie sah er wirklich aus?
Die uns geläufigen Jesusbilder sind nicht zufällig entstanden, sondern sie spiegeln Macht und Geschichte wider. Jahrhunderte lang haben europäische Künstler Jesus so dargestellt, dass er wie sie selbst aussah. Dadurch wurde er zum weißen Mann, was sich besonders in der Kolonialzeit mit der Vorstellung von kultureller Überlegenheit verknüpfte. Solche Bilder wirken bis heute. Sie prägen unser Gottesbild und unser Miteinander. Wenn Jesus immer hellhäutig erscheint, entsteht die Vorstellung, dass Weißsein näher an Gott sei, eine Botschaft, die andere ausschließt.
Gerade Kinder übernehmen diese Bilder sehr schnell. In Bibeln und Unterrichtsmaterialien sehen sie einen europäisch geprägten Jesus in einer mediterranen Bilderwelt. Das ist bequem, aber verfälscht. Deshalb lohnt es sich, Kinder zu fragen, was sie sehen und was fehlt. Sie sollen lernen, dass Darstellungen immer auch Deutungen sind.
Wichtig ist dabei die rassismuskritische Haltung. Es geht nicht darum, jemanden zu verurteilen, sondern bewusst vielfältige Bilder zu zeigen. Wenn wir Darstellungen aus verschiedenen Kulturen nebeneinanderstellen, wird sichtbar, dass Jesus allen Menschen nahekommt. Das öffnet den Blick für die weltweite Kirche und macht deutlich: Gott überschreitet kulturelle Grenzen.[14]
Ein Blick auf die Bevölkerung Galiläas zu Zeiten Jesu
Wenn wir über Jesus nachdenken, dann geschieht das nicht im luftleeren Raum. In der Berliner Stadtmission begegnen wir Menschen aus vielen Kulturen, Hautfarben und Sprachen. Gerade in unserem "Verlernkurs Rassismus" wird deutlich, wie schnell wir dazu neigen, uns ein Bild zu machen, das mehr über unsere eigenen Vorstellungen verrät als über die Wirklichkeit. Deshalb ist es gut, sich zu fragen, was wir heute historisch über den Menschen Jesus tatsächlich wissen.
Die Frage nach dem Aussehen Jesu bewegt bis heute. Besonders in westlichen Darstellungen begegnet uns oft ein hellhäutiger Mann mit hellbraunen oder sogar blonden Haaren, manchmal mit blauen Augen. Doch wie realistisch ist dieses Bild, wenn wir die historische und ethnische Situation Galiläas zu Zeiten Jesu betrachten?
Galiläa war zu Zeiten Jesu keine einheitlich jüdische Region, sondern blickte auf eine komplexe Geschichte zurück. Schon im 8. Jahrhundert v. Chr. führten die Assyrer Eroberungen und Zwangsumsiedlungen durch, sodass ein Nebeneinander verschiedener Bevölkerungsgruppen entstand. Israelitische Stämme lebten neben Aramäern, Arabern, Griechen, Phöniziern und anderen. Immer wieder kam es zu kolonialen Eingriffen – durch die Assyrer, Babylonier, Perser, später durch Griechen und Römer.
Besonders einschneidend war die Zeit der Makkabäer im 2. Jahrhundert v. Chr. Sie zwangen Teile der Bevölkerung zur Annahme jüdischer Lebensweise und führten Umsiedlungen durch. Dennoch blieb Galiläa ein „buntes“ Land, wie es die Quellen beschreiben: ein Raum, in dem jüdische Identität zwar stark ausgeprägt war, aber stets in Kontakt und Spannung mit hellenistischen und nahöstlichen Elementen stand.
Zu Zeiten Jesu hatte sich das Judentum in Galiläa gefestigt. Synagogen, Sabbatpraxis und die Tora prägten das öffentliche Leben. Dennoch war den Menschen in Jerusalem bewusst, dass „die Galiläer“ sprachlich, kulturell und auch vom Habitus her auffielen. Ihre Sprache unterschied sich hörbar, im rabbinischen Judentum galt der galiläische Dialekt als ungenau und wurde manchmal sogar verspottet. In den Evangelien wird Petrus durch seine Aussprache sofort als Galiläer enttarnt (vgl. Mt 26,73).
Auch das gesellschaftliche Ansehen war ambivalent: Galiläa wurde in Jerusalem nicht als kulturelles Zentrum wahrgenommen, sondern eher als Randgebiet, das zwar hautsächlich jüdisch, aber zugleich durch viele Einflüsse „geprägt“ war.[15]
Wenn wir all diese Hintergründe berücksichtigen, wird deutlich: Jesus war ein Mann aus dem heutigen „Nahen Osten“. Die Menschen dort hatten in der Regel:
- mittlere bis dunkle Hauttöne
- schwarze oder dunkelbraune Haare
- braune Augen
- eine durchschnittliche Körpergröße (etwa 1,60 bis 1,70 m)
Das Bild eines hellhäutigen, blonden Mannes mit blauen Augen ist daher historisch äußerst unwahrscheinlich. Es handelt sich vielmehr um eine Projektion späterer europäischer Kunsttraditionen. Seit dem Mittelalter und besonders in der Renaissance wurde Jesus häufig so dargestellt, dass er dem Schönheitsideal der jeweiligen Kultur entsprach.
Die Frage nach dem Aussehen Jesu ist mehr als eine Randnotiz. Sie zeigt, wie sehr unser Bild von ihm kulturell geprägt ist. Wenn wir Jesus europäisch darstellen, spiegeln wir eher unsere eigenen Vorstellungen als die historische Realität wider. Umso wichtiger ist es, sich bewusst zu machen: Jesus war ein jüdischer Mann aus Galiläa, Teil der Kultur des Nahen Ostens.[16]
Dieses Wissen kann helfen, ihn nicht vorschnell in unsere kulturellen Muster einzupassen, sondern ihn in seiner historischen Wirklichkeit zu sehen.
Jesus im Spiegel der Kontinente
Auf allen Kontinenten dieser Erde finden wir heute Darstellungen von Jesus und auch von Maria, die in ihrer äußeren Erscheinung ganz unterschiedlich wirken. Mal sehen wir einen Jesus mit hellem Teint und feinen Gesichtszügen, mal einen Jesus mit dunkler Haut, mal einen Jesus mit schmalen Augen und zarten Gesichtszügen, mal einen lateinamerikanischen Jesus, der indigene Züge trägt.
Diese Bilder sind keine zufälligen Verzerrungen, sondern Ausdruck einer tiefen Entscheidung: Die gestaltenden Künstlerinnen und Künstler wollten einen Jesus zeigen, in dem die Menschen sich selbst wiedererkennen. Denn wenn ich Jesus in einer mir vertrauten Gestalt sehe, dann kann ich mich leichter mit ihm verbinden. Er erscheint mir näher, menschlicher, begleitender.
So entsteht ein Jesus, der für alle Menschen da ist. Kein Bild allein kann den historischen Jesus vollständig abbilden. Doch gerade die Vielfalt der Darstellungen macht deutlich: Jesus ist nicht an eine Kultur, ein Aussehen oder eine Hautfarbe gebunden. Er ist ein Jesus für alle: nahbar, vertraut, und zugleich größer als jede einzelne Darstellung.
Gleichzeitig liegt in jeder Darstellung auch eine Gefahr. Wenn Jesus immer nur in einer bestimmten äußeren Form gezeigt wird, kann das dazu führen, dass sich Menschen ausgeschlossen fühlen, weil sie sich in diesem Bild nicht wiedererkennen. Dann droht das, was eigentlich Nähe schaffen soll, in Distanz umzuschlagen. Deshalb braucht es die Vielfalt der Bilder, damit niemand das Gefühl hat, Jesus sei nur für einige da, sondern deutlich wird: Er ist der Christus, der alle Menschen gleichermaßen im Blick hat.
Zusammenfassung:
Die Quellen machen deutlich: Jesus von Nazareth war eine historische Person. Schon in den Paulusbriefen, die nur wenige Jahre nach seinem Tod verfasst wurden, finden wir klare Zeugnisse seines Wirkens und seines Kreuzestodes. Auch die Evangelien und weitere Schriften des Neuen Testaments zeichnen ein vielschichtiges Bild. Dass darüber hinaus auch außerbiblische Autoren wie Josephus, Tacitus oder Plinius Jesus erwähnen, unterstreicht: Jesus war kein bloßes Glaubenskonstrukt, sondern ein Mensch, der gelebt hat und zugleich eine Gestalt, die die Geschichte prägte.
Gleichzeitig zeigen die vielfältigen Bilder von Jesus, wie sehr kulturelle Kontexte unser Verständnis formen. In Europa entstand über Jahrhunderte das Bild eines weißen, hellhäutigen Jesus, ein Bild das historisch kaum zutrifft und doch tief im kollektiven Bewusstsein verankert ist. Historisch betrachtet war Jesus ein jüdischer Mann aus Galiläa, eingebettet in die Kultur des Nahen Ostens.
Heute entdecken wir auf allen Kontinenten Jesus in ganz unterschiedlichen Darstellungen. Sie sind Ausdruck der Sehnsucht, in ihm etwas von sich selbst wiederzufinden. Kein Bild allein kann den historischen Jesus vollständig zeigen. Doch in ihrer Vielfalt bezeugen diese Bilder, dass er für alle Menschen da ist. Die historischen Quellen und die kulturelle Bildvielfalt zusammen machen sichtbar: Jesus Christus ist zugleich eine reale Gestalt der Geschichte und eine universale Gestalt des Glaubens.
Die Vielfalt der Jesusdarstellungen erinnert uns daran, dass Christus allen Menschen Begegnet, unabhängig von Hautfarbe, Kultur oder Herkunft.
Fazit: In jedem Gesicht, das uns begegnet, spiegelt sich etwas von Gottes Schöpfung und Liebe. Darum schaffen wir Räume, in denen Menschen sich angenommen fühlen und Heimat finden können. So wird sichtbar: Jesus ist für alle da und wir sind berufen, seine Liebe weiterzutragen.
Autor: Jens-Martin Krieg
[1] Vgl. Wischmeyer, Oda, Becker, Eve-Marie (Hrsg.), Paulus, Leben - Umwet - Werk - Briefe, 3., aktualisierte und erweiterte Auflage 2021, S. 281.
[2] Vgl. Niebuhr, K.-W. (Hrsg.), Grundinformationen Neues Testament, 4., duchgesehene Auflage 2011, S. 106.
[3] Vgl. Niebuhr, K.-W. (Hrsg.), Grundinformationen Neues Testament, 4., duchgesehene Auflage 2011, S. 83, 118.
[4] Vgl. Niebuhr, K.-W. (Hrsg.), Grundinformationen Neues Testament, 4., duchgesehene Auflage 2011, S. 155.
[5] Vgl. Sanders, E.P., Sohn Gottes - Eine historische Biographie Jesu, J.G. Gotta´sche Buchhandlung, Stuttgart 1993, S. 86-89.
[6] Flavius, Jospehus, Antiquitates XVIII, 63-64.
[7] Flavius, Jospehus, Antiquitates XX, 200, in Jüdische Altertümer, marix Verlag, 5. Auflage, Wiesbaden, 2018.
[8] Vgl. Tacitus, Annalen XV, 44.
[9] Vgl. Plinius, Epistulae X,96.
[10] Vgl. Sueton, De vita Caesarum, Claudius 25,4.
[11] Vgl. Mara bar Serapion, Brief an seinen Sohn, Syrischer Text, British Museum MS. Add. 14658.
[12] Vgl. https://www.uni-siegen.de/phil/kaththeo/antiketexte/ausser/4.html Abrufdatum: 16.09.2025.
[13] Vgl. Theißen, Gerd, Merz, Annette: Der historische Jesus, Ein Lehrbuch, 3., durchgesehene und um Literaturnachtrag ergänzte Auflage, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2001, S. 158f.
[14] Vgl. Vecera, Sarah, Wie ist Jesus weiß geworden? Mein Traum von einer Kirche ohne Rasismus, Patmos Verlag, 3. Auflage, Ostfildern, 2022, S. 120-128.
[15] Vgl. Bösen, Willibald, Galiläa, Lebensraum und Wirkungsfeld Jesu, Herder, Freiburg im Breisgau, 1998, S. 146-149.
[16] Vgl. Taylor, Joan - Kings College London. (24. Dezember 2015). What did Jesus really look like? Abgerufen am 16. September 2025 von bbc: https://www.bbc.com/news/magazine-35120965
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