Rassismus gibt es bei uns nicht?
Die Stimmen von Menschen, die tagtäglich rassistische Erfahrungen machen, lassen keinen Zweifel: Diese Form der Ausgrenzung ist real. Sharon Dodua Otoo beschreibt, wie einem Kind gesagt wird, seine Haut sei vom Teufel, als wäre seine Existenz an sich ein Fehler. Sasha Marianna Salzmann berichtet, wie es ist, nie einfach „unsichtbar“ sein zu können, nie einfach dazugehören zu dürfen, sondern ständig als „anders“ markiert zu werden.[1] Deniz Utlu erinnert daran, wie tief das Misstrauen gegenüber Menschen wirkt, die nicht dem Mehrheitsbild entsprechen, ein Misstrauen, das selbst vor staatlichen Institutionen nicht Halt macht.[2] Diese Erfahrungen zeigen uns, dass Rassismus nicht nur auf persönlichen Vorurteilen beruht. Er ist strukturell, wie Reni Eddo-Lodge es formuliert: eine durch und durch weiße Arbeitskultur, die andere ausschließt, selbst wenn niemand das laut ausspricht.[3] Er ist historisch gewachsen, wie Alice Hasters deutlich macht: Menschen wurden nicht versklavt, weil sie rassistisch abgewertet wurden, sondern sie wurden rassistisch abgewertet, um sie versklaven zu können.[4] Rassismus ist ein ideologisches System, wie Susan Arndt beschreibt, entstanden, um Macht, Herrschaft und Privilegien abzusichern.[5]
Wenn wir uns fragen, was das mit uns zu tun hat, dann sollten wir nicht zuerst darauf schauen, ob wir „rassistisch gemeint“ haben, was wir sagen oder tun. Rassismus wirkt oft unbewusst, über Sprache, über Blicke, über Annahmen, über Strukturen. Sarah Vecera schreibt: „Wir verknüpfen Rassismus mit einer Absicht. Das macht seine tatsächliche Komplexität so schwer greifbar und trägt dazu bei, ihn allgegenwärtig aufrecht zu erhalten.“ Rassismus wirkt auch da, wo niemand absichtlich jemanden verletzen will und gerade deshalb ist es so wichtig, ihn bewusst zu erkennen, zu benennen und zu verändern. [6]
Was heißt das für unsere Gästehäuser? Es heißt: Ein freundlicher Ton allein reicht nicht. Gastfreundschaft endet nicht bei einem gemachten Bett und einem netten Lächeln. Echte christliche Gastfreundschaft fragt: Fühlt sich jeder Mensch hier wirklich gesehen, mit seiner Geschichte, seinen Erfahrungen, seiner Hautfarbe, seiner Sprache, seiner kulturellen Prägung? Können unsere Gästehäuser Orte sein, an denen sich Menschen sicher fühlen, nicht trotz ihrer Herkunft oder Hautfarbe, sondern gerade mit ihnen? Orte, an denen niemand „anders“ ist, sondern einfach Mensch? Das Evangelium ist hier eindeutig. Im 1. Buch Mose 1,27 heißt es: „Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.“ Jeder Mensch, unabhängig von Aussehen, Sprache oder Herkunft, ist Ebenbild Gottes. Diese Würde ist nicht verhandelbar. In Galater 3,28 lesen wir: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ Das ist keine Vertröstung, es ist ein Auftrag. Es reicht nicht, Unterschiede zu übersehen, wir müssen aktiv dafür sorgen, dass Unterschiede nicht zu Ungleichheiten werden. Deshalb ist es für uns als christliche Gemeinschaft unverzichtbar, uns dem Thema Rassismus bewusst und ehrlich zu stellen. Es bedeutet, zuzuhören – auch wenn es weh tut. Es bedeutet, anzuerkennen, dass wir Teil eines Systems sind, das andere Menschen verletzt, auch wenn das nicht unsere Absicht war. Und es bedeutet, uns auf den Weg zu machen – hin zu einem achtsameren, gerechteren, liebevolleren Miteinander.
Fazit: Weil jeder Mensch Gottes Ebenbild ist (1. Mose 1,27), stehen wir in der Verantwortung, Rassismus in uns selbst und in unseren Strukturen zu erkennen, zu benennen und durch Gottes Liebe zu überwinden, damit unsere Gästehäuser Orte echter Würde und gelebter Gerechtigkeit werden.
Autor: Jens-Martin Krieg
[1] Vgl. Dodua Otoo, Sharon. (2024). In F. &. Hengameh, Eure Heimat ist unser Albtraum (S. 60f, 64.). Berlin: Ullstein. S. 60f, 64.
[2] Vgl. Utlu, Deniz. (2024). In F. &. Aydemir, Eure Heimat ist unser Albtraum. Berlin: Ullstein. S. 40, 42, 55.
[3] Vgl. Eddo-Lodge, Reni. (2019/2020). Warum iich nicht länger mit weissen über Hautfarbe spreche. Stuttgart: Cotta´sche Buchhandlung.
S. 77.
[4] Vgl. Hasters, Alice. (2020). Was weisse Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten. München: Hanser Verlag. S. 27ff.
[5] Vgl. Arndt, Susan. (2012). Die 101 wichtigsten Fragen: Rassismus. München: C. H. Beck. S. 15f.
[6] Zitat: Vecera, Sarah. (2022). Wie ist Jesus weiß geworden? Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus. Ostfildern: Patmosverlag. S. 74f.
Bildrechte: Jens-Martin Krieg
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